Steven

Liebes Tagebuch, Teil 2

Austausch unter Dramaqueens, Musikgenies und Schauspielern.

Ein Bericht von Steven über die zweite Hälfte seines Auslandssemesters in Finnland.

Liebes Tagebuch (Rakas päiväkirja)!

Hallo, ich melde mich einmal wieder aus dem jetzt schon relativ warmen Finnland. Es hat bei uns gerade schon fast 20°C und Ihr könnt euch alle gar nicht vorstellen, wie warm das eigentlich ist.

Jetzt, wo ich mittlerweile schon seit längerem in die finnische Gesellschaft aufgenommen wurde erscheinen mir Wörter, Zahlen, Temperaturen und Geschmäcke schon gewohnt und alles was mir meine Familie aus Österreich erzählt immer mehr und mehr merkwürdiger und fremder. Ist schon ein sehr komisches Gefühl.

Ich bin jetzt schon wieder drei weitere Monate hier und befinde mich nach sechs Monaten unter dem Strich auch schon fast am Ende meines Austausches.
Aber trotzdem möchte ich euch weiter auf dem Laufenden halten, also was ist denn alles passiert:

FINNISCH SPRECHEN, FIX WIE NIX!
Ihr werdet es wahrscheinlich nicht glauben aber nach ungefähr 4 Monaten in Finnland hat sich die Stromleitung im Gehirn dann doch geregt. Ich spreche Finnisch. Das Gefühl ist noch immer unbeschreiblich ungewohnt und ich kann mich nur schwer an den Gedanken gewöhnen, dass ich in innerhalb von 4 Monaten eine der schwierigsten Sprachen der Welt gelernt hab und das nur durch Zuhören, Lesen und Sprechen.

Ich hatte mich nach kurzer Zeit dazu entschlossen das „Language Certificate A2“ für die finnische Sprache zu absolvieren. Mein Test fand fast noch ein Monat vorher, und zwar Ende März statt. Mitte Mai bekam ich endlich meine Ergebnisse und siehe da, der liebe Herr Steven hat es mit Erfolg bestanden. Ich war schon überrascht, dass ich ihn wirklich zu 100% bestanden habe, da ich den Test nach weniger als drei Monaten in Finnland geschrieben hatte und ihn manche Jahresstudenten, die schon mehr als acht Monate in Finnland lebten, nicht geschafft haben. Ist aber irgendwie auch ein kleines Erfolgsgefühl.

Jetzt nach ungefähr 6 Monaten in Finnland ist die Sprache nicht mehr wirklich ein Problem für mich und ich kann mich ganz normal, wie jeder andere auch, im Alltag verständigen. Auch wenn man es vorher nicht glaubt, dass man eine Sprache so schnell lernen kann, aber ich sage Euch meine Lieben, es ist möglich. Glaubt an Euch und versucht es immer und immer wieder und Ihr werdet bald sehen, dass Ihr jeden Tag etwas Neues lernt, auch wenn die Sprache mit 15 Fällen am Anfang unmöglich erscheint.

Kesä - Summer - Sommer
Auch wenn sich manche von euch fragen, warum schreibt der Kerl da jetzt über den Sommer im Schneeland, dann muss ich Euch hiermit mitteilen, dass man nirgends auf der großen, weiten Welt einen schöneren Sommer finden kann als im Norden von Europa.

Bei uns in Vantaa hat es mittlerweile 20°C und das fast jeden Tag. Es ist schon ein krankes Gefühl wenn man aus dem Haus geht. Außerdem geht die Sonne nicht mehr unter und das seit ungefähr zwei Wochen. Ihr könnt Euch gar nicht vorstellen wie toll man sich selbst vorkommt, wenn man um 2 Uhr morgens einfach einmal so hinaus spazieren gehen kann oder sich mit Freunden trifft.

Aber das allerschönste am Sommer in Finnland sind die Sonnenauf- und Sonnenuntergänge, welche man vom Sommerboot mit der Familie beobachten kann.

Warum? Darum!

Manchmal gibt es diese Momente, in welchen man die neue Kultur und deren Eigenschaften einfach nicht verstehen kann. Die übliche Frage, die einem in Situationen wie dieser kommen ist meistens „WARUM“. Es gibt Momente im Leben, da muss man Dinge einfach nicht verstehen, sondern sie einfach so zur Kenntnis nehmen, wie sind und entstehen.

Heutzutage fällt es uns immer schwerer Dinge einfach hinzunehmen, wie sie sind, weil es die heutige Gesellschaft ja schon auf Diskussionen ansetzt, aber hier in Finnland habe ich gelernt, dass es manchmal einfach besser sein kann, einfach damit zu leben und es gar nicht einmal mehr zu hinterfragen. Es erspart einem selbst unglaublich viel Zeit.

Das alles wären einfach wieder einmal so kleine Dinge, warum man ein Austauschjahr absolvieren sollte. Ich kann es wirklich nur jedem empfehlen.

„Mach die Welt zu deinem Zuhause“ Kultur und ihre Diskussion

Viele von Euch da draußen denken sich sicherlich, wie kann es denn so schwer sein Austauschschüler zu sein und in ein anderes Land einzureisen und dort für 6-12 Monate zu leben? Ist doch im Prinzip sowieso ganz einfach, weil sein Leben ändert sich dadurch ja nicht. Denkt Ihr?

Es tut mir wirklich leid Euch das mitteilen zu müssen, aber man bekommt mehr Probleme als jemals zuvor. Einfach gesagt, weil man DERJENIGE ist DER sich anpassen muss. Nicht Eure Gastfamilie oder Gastgeschwister an Euch, nicht die Lehrer in der Schule, weil Ihr die Sprache nicht sprechen könnt, einfach niemand. Ihr seit diejenigen, die beobachten, annehmen und akzeptieren müssen.

Das ist meiner Meinung nach genau das, was man als Austauschschüler braucht. Genau diesen Kick ins kalte Wasser. Man hat ja keine Ahnung von den Leuten, wenn man dort noch kein halbes Jahr seines Lebens verbracht hat und genau das war das Gefühl, welches ich am „Austauschschüler sein“ einfach liebe.

Ich hatte Momente in den letzten Monaten,in welchen ich mir gedacht hab: „Was, wo bin ich denn hier? Darf man das überhaupt? Haben denn alle hier einen Schuss?“ Einfach, weil es so kulturelle Unterschiede gibt. Mir fällt auch jetzt auf die Schnelle kein gutes Beispiel ein, aber ich glaub Ihr versteht alle, was ich damit meine.

Suomalaiset - Die Finnen

Nach nun mittlerweile 6 Monaten in Finnland kann ich Euch sagen, dass man Freude auf der ganzen Welt finden kann, aber in Finnland findet man Freunde fürs Leben. Es ist schon seltsam, wenn man es mit anderen Ländern Europas vergleicht, aber hier entstehen Freundschaften nicht von heut‘ auf morgen. Es hat ja auch in meinem Fall fast 1 1/2 Monate gebraucht, bis sie überhaupt einmal mit mir irgendein Wort gewechselt haben.

Jetzt, wo ich weiß, dass ich Finnland bald verlassen muss, fällt es mir um so schwerer, davon Abschied zu nehmen.

Da waren es also nur mehr 2 Wochen!

Na dann meine Lieben, mein Austausch neigt sich langsam, aber doch, dem Ende zu und ich muss an dieser Stelle einmal anmerken, dass alles viel zu schnell gegangen ist. Ich bin jetzt noch gar nicht in der Stimmung heimzufahren. Ich muss dennoch die Realität akzeptieren und meine Koffer langsam mit meinem Zeug füllen, auch wenn es mit schwer fällt von meiner neuen Familie, meinen neuen Freunden, der Schule und allem was ich in den letzte 6 Monaten aufgebaut habe, Abschied zu nehmen. Ist aber in einem Punkt auch verständlich, oder?

Am 29.6 werde ich meine Reise vom Flughafen Vantaa nach Berlin antreten und dort mein letztes großes „Young-European-Seminar“ (Abk.: YES) mit 500 anderen Austauschschülern aus ganz Europa, antreten. Dieses große Seminar dauert 5 Tage und ist unsere letzte große Hürde. In diesen 5 Tagen lernen wir noch einmal all unsere Erfahrungen zu verarbeiten und uns gut gelaunt auf die
Heimreise einzustellen.

Ich werde dann am 3.7 mit dem Zug von Berlin nach Wien fahren. Nach den ganzen wundervollen Monaten in Finnland kann ich Euch sagen, dass es nicht schwer ist ein neues zu Hause zu finden, es ist nur schwer es zu realisieren, dass man seiner Heimat näher ist als man denkt.

Manche werden sich jetzt denken: "Ich mache mir selbst nur Probleme wenn ich jetzt aufbreche und für 1 Jahr in ein anderes Land gehe. Meine Schule, meine Gastschule, die Sprache, die Kultur, wie soll ich das alles verstehen lernen?" Aber glaubt mir, ob im Gastland oder zu Hause in der Heimat, Probleme hat man überall. „Changes happen all the time, but they are not good not bad just really different."

Tervehdys Suomesta (Schöne Grüße aus Finnland)
Steven N.