Mirjam

Die zweite Familie

Ein unvergessliches Semester

Schüleraustausch kann viel verändern: Bevor man sich versieht, hat man eine zweite Familie!
YFU Austria:

Mirjam, welche Erinnerung kommt dir als erste in den Sinn, wenn du an deine Gastfamilie denkst?

Mirjam:

Die erste Erinnerung, wenn ich an meine Gastfamilie denke, ist wie wir immer gemeinsam „gebraait“ (gegrillt) haben und jeden Abend gemeinsam vor dem Fernseher saßen. Aber auch als wir gemeinsam Tränen gelacht oder geweint haben. Jeder Moment, den ich erleben durfte, war unglaublich einzigartig für mich. Egal ob es schöne oder eher kritische Momente waren, alle zählen; und wenn ich nicht alle Momente von diesen erlebt hätte wär ich nicht da wo ich jetzt stehe - nämlich mit einer 2. Familie, die hinter mir steht und in meinem Herzen jeden Schritt mit mir mitgeht. Es ist ein wunderschönes Gefühl, wenn du es so weit geschafft hast und stolz und mit Freude sagen kannst, dass du eine Familie in Südafrika und in Österreich hast.

Meine Familie und ich erlebten Elefanten hautnah.
YFU Austria:

Verrate uns mehr über deine Gastfamilie! Wie können wir uns deine Familie vorstellen?

Mirjam:

Die ersten Tage meines Austausches in Südafrika habe ich mit anderen Austauschschülern auf einer "YFU Orientation" in Pretoria verbracht. Am Sonntag nach meiner Ankunft kam der spannende Moment: meine Gastfamilie fuhr mit ihrem blauen Auto durch das Tor unserer Unterkunft, um mich abzuholen. Ich war sehr nervös und als sie dann aus dem Auto stiegen, lief mir als erstes Jessica, meine Gastschwester in die Arme, dann Adelaide meine Gastmutter und natürlich auch Tim, mein Gastvater. Nach dieser Begrüßung fiel mir die ganze Nervosität vom Herzen und meine großartige Zeit begann in dieser Familie. Ich kann nur sagen, dass ich keine bessere Familie bekommen hätte können. Zuhause angekommen stand ich nicht nur vor meinem neuen Zuhause, für meine Zeit in Südafrika, sondern die 3 Haushunde (Lulu, Sally und Colonel) ließen mich mit ihrem lauten Bellen willkommen heißen. In der Küche stand ein großer Vogelkäfig wo vorerst nur mal ein Vogel hauste, nach einer Zeit aber ein zweiter dazukam.

Meine Gastmutter regelt die Finanzen einer Schule und mein Vater war ein wichtiger Trainer, der Minenarbeiter lehrte, die für die Kohle des in ganz Südafrika bekannten „Sasol“ (dort stellen sie Benzin her) zuständig waren. Außerdem war er ein sehr angesehener, engagierter und wichtiger Politiker in unserer Stadt.

YFU Austria:

Wie sah dein Alltag mit deiner Gastfamilie aus? Was habt Ihr gemeinsam unternommen?

Mirjam:

Mein Schulalltag war relativ eintönig: In der Früh in die Schuluniform schlüpfen und ins Auto hupfen, um zur Schule zu kommen. Bis halb 2 hieß es, die Zeit in der Schule zu genießen und anschließend nach Hause zu gehen. Zuhause wartete immer schon unsere Reinigungsdame, die jeden Tag bei uns war. Mit meiner Gastschwester verbrachte ich anschließend immer bis 3 oder 4 Uhr die Zeit und wir genossen die Zeit mit fernsehen, essen, Freundinnen, die nach der Schule mitkamen oder Tennisspielen. Sehr oft fuhren wir dann noch mit meiner Gastmutter in die Stadt, um einkaufen zu gehen. Auch ging ich regelmäßig Tennisspielen. Mein Gastvater war viel für seine politische Partei unterwegs. Abends haben wir jedoch immer, egal was an dem Tag passierte, gemeinsam am Wohnzimmertisch gegessen und über den Tag und die News geredet. Nach dem Essen haben wir gemeinsam ferngesehen und geredet oder auch Besuch bekommen.
An den Wochenenden oder in den Ferien haben wir meist als Familie gemeinsam etwas unternommen. Wir fuhren mehrmals im Monat nach Johannesburg, besuchten hin und wieder Pretoria und die Highlights waren natürlich unsere drei Urlaube.

YFU Austria:

Was kommt dir als erstes in den Sinn, wenn du an deine Gasteltern denkst? Welche Unterschiede hast du im Verhältnis zwischen Eltern und Kindern in Südafrika kennengelernt, wenn du es mit Österreich vergleichst?

Mirjam:

Wenn ich an sie denke, muss ich an ihre Herzlichkeit, Offenheit, Großzügigkeit und Verrücktheit denken. Sie haben mir sehr geholfen, mich an das südafrikanische Leben und die Traditionen zu gewöhnen und anzupassen.
Der größte Unterschied meiner beiden Eltern war wohl, dass sie die Staatsbürgerschaft „South Africa“ haben. Aber auch dass, obwohl die Hauptsprache Englisch war, meine Gastfamilie britischer und niederländischer Abstammung waren. „Meine Südafrikaner“ waren außerdem nicht so sportlich und aktiv wie meine österreichische Familie. Dafür waren sie eher mehr gesellschaftlicher und gemütlich. Ich genieße es in beiden Familien!!

YFU Austria:

Wie hast du das Zusammenleben mit deiner Schwester erlebt?

Mirjam:

Meine Gastschwester Jessica ist ein halbes Jahr jünger als ich und ein bisschen kleiner, aber das änderte nichts an unserem Zusammenleben. Am Anfang, denke ich, waren wir beide eher schüchtern gegenüber dem anderen, aber irgendwann brach diese Eisschicht und unsere Beziehung wurde einfach perfekt. Ob wir jeden Tag gemeinsam in der Schule von Raum zu Raum gegangen sind, meist die Pausen mit Freundinnen verbracht haben, gemeinsam von der Schule heimgingen, gemeinsam im Garten oder vor dem Fernseher saßen, nebeneinander Hausübungen machten, dabei mit voller Lautstärke Musik hörten und dabei lauthals mitsangen, ob wir uns gestritten haben, ob wir uns gegenseitig mit Muffins, Popcorn oder Pizza beschossen haben, ob wir gemeinsam meinem Gastvater Streiche gespielt haben, ob wir mit Freundinnen fortgingen, ob wir oft gemeinsam im Wohnzimmer vor dem Fernseher schliefen, uns gemeinsam gesträubt haben uns von unseren Eltern mästen zu lassen oder alle Geschäfte leergekauft haben machte keinen Unterschied; was wichtig ist, wir haben es gemeinsam gemacht. Sie ist nun meine Schwester, die ich immer lieben werde, die ich jede Minute in Österreich vermisse, die ich bis an mein Lebensende in meinem Herzen tragen werde.

YFU Austria:

Ist es dir schwergefallen dich in die Familie zu integrieren? Was hast du getan, um das Vertrauen und die Zuneigung deiner Familie zu gewinnen?

Mirjam:

Mein Gastvater hat mich von Anfang an als „seine Tochter“ benannt. Meine Gastmutter war immer da für mich und mit meiner Gastschwester passte es auch bereits am Anfang. Es brauchte nur wirklich eine Zeit bis sie wie eine Schwester für mich wurde und wir auch anfingen zu streiten und gemeinsam richtig lachen konnten.
Durch all unsere gemeinsamen Urlaube wuchsen wir sehr, sehr zusammen. In unserem ersten Urlaub in Durban war die ganze Großfamilie mit und ich habe noch einige Zeit gebraucht. Bei unserem Kapstadt-Urlaub jedoch schmolz das ganze Eis und ich wusste, dass ich meine zweite Familie gefunden habe. Dieser Urlaub war nicht nur vom Land und den Kulturen her ein unglaublicher, sondern er hat uns auch sehr zusammengeschweißt. Zu unserem letzten Urlaub, den wir im Kruger Nationalpark verbrachten, sind wir nicht mehr als Gastfamilie hingefahren, sondern als richtige Familie.

YFU Austria:

Wie hast du anfangs mit deiner Familie kommuniziert? Gab es Missverständnisse oder Verständigungsschwierigkeiten?

Mirjam:

Anfangs habe ich mir in der Familie selbst mit dem Englischen schwer getan, denn sie sprachen sehr schnell. Es hat sich jedoch ziemlich rasch verbessert und wir konnten normal miteinander reden. Ich denke, dass ich aber sicher einen Vorteil gehabt habe, dass meine Familie Englisch sprach. Bei der großen Vielfalt an Sprachen in Südafrika muss man sehr begabt sein, um in einem halben Jahr eine ganz neue Sprache zu erlernen.

In der Schule war es schon ein wenig schwerer, denn es waren so ziemlich alle Sprachen Südafrikas (und das sind 11!) vertreten. Einerseits hat mir das sehr getaugt, dass so viele verschiedene Kulturen an einem Ort vertreten waren, andererseits war das kommunizieren jedoch nur durch Englisch möglich. Viele Schüler lehrten mir trotzdem gleich einige Afrikaans-Phrasen und begrüßten mich mit „goeie môre“ oder „Hoe gaan dit met jy?“.

YFU Austria:

Was ist die schönste Erinnerung, die du mit deiner Gastfamilie hast?

Mirjam:

Ich habe sehr, sehr viele unvergessliche Momente mit meiner Familie erlebt. Das erste Erlebnis, das mir jedoch immer einfällt, habe ich vom Kruger Nationalpark mitgenommen. Wir saßen schon lange im Auto, um die Gegend und Tiere zu sehen, was auch sehr erfolgreich ausging. Es war wunderschön an diesem späten Nachmittag. Wir stoppten kurz an, um uns auf einer Landkarte zu orientieren und plötzlich mussten meine Gastmutter und ich lauthals loslachen, da wir die Karte in Besitz genommen haben und herausfanden, dass wir eine falsche Abzweigung genommen hatten und über eine Stunde von unserem Camp entfernt waren. Wir nahmen dann einen anderen Weg zurück. Wir mussten uns jedoch beeilen, da das Gate vom Camp immer um halb 6 zusperrte und man danach als Besucher eigentlich nicht mehr eintreffen darf. Wir nahmen uns dann aber doch die Zeit um die Zeit draußen zu genießen. Und das haben wir definitiv auch! Wir fuhren als einziges Auto noch im Park, es war sehr ruhig, wir haben nur die Tiergeräusche, den Wind in den Bäumen und das Plätschern der Flüsse oder Quellen, die dort entsprangen, gehört. Dabei ist die Sonne langsam wie ein roter leuchtend-feuriger Ball untergangen. Wir haben zur Verschärfung der Stimmung das Lied „Paradise" von Coldplay angehört, das natürlich perfekt dazu passte. Es war ein unersetzbares Gefühl, das ich mein ganzes Leben lang noch weiter erzählen werde.

YFU Austria:

Jedes Land und jede Familie haben ihre eigenen Traditionen. An welche Tradition oder an welches Fest kannst du dich ganz besonders erinnern und warum?

Mirjam:

Eines der schönsten Feste, das ich erleben durfte, war in der His-Way Kirche unserer Stadt. Es war das „Feast of Passover“, also das Pessachfest vor Ostern. Die Kirche steht zwar für „assemblies of god church“ und ist nicht jüdisch, aber sie feiern den Tod und die Auferstehung Jesus. Ich war dort mit meiner Großmutter, die eine der Organisatorinnen war. Das Fest dauerte etwa 3 Stunden, jedoch verging die Zeit wie im Flug. Für mich war das das schönste Fest, das ich bisher feiern durfte. Die meisten Leute, die dort in die Kirche gehen, sind schwarz und wissen wie man Stimmung in die Kirche bringt.

YFU Austria:

Welche Gefüle hattest du dabei, deine Gastfamilie zu verlassen und nach Österreich zurückzukehren?

Mirjam:

Die letzte Woche in Südafrika war sehr hart für mich. Ich habe viel geweint, war sehr emotional und ruhig. Eine herzhafte Umarmung hatte gereicht, um mich in Tränen zu versetzen. Im Flugzeug habe ich noch einmal all meine Tränen rausgelassen und habe lange einfach durchgeheult, wo sich die anderen Passagiere wahrscheinlich auf den Kopf gegriffen haben und sich ihren Teil gedacht haben. Gleichzeitig aber habe ich gelernt. Ich habe wahrgenommen, dass meine Familie in Österreich schon auf mich gewartet hat. Jetzt ist es schön... egal wo ich bin, ich weiß, dass ich 2 Familien auf ganz verschiedenen Erdteilen habe, die immer für mich da sind.

YFU Austria:

Viele Austauschschüler*innen sagen, dass sie die Erlebnisse bei der Rückkehr in ihr Heimatland wie ein zweites Austauschjahr erlebt haben. Sie sagen, dass sie sich an viele Dinge wieder neu gewöhnen mussten und neu hinzu- sowie liebgewonnene Verhaltensweisen wieder ablegen mussten. Wie war das bei dir?

Mirjam:

Da meine Gastschwester mit mir nach Österreich flog und ich dort noch jede Minute der 3 Wochen, die sie hier war, mit ihr verbringen durfte, ist mir alles ein wenig leichter gefallen. Meine Familie, sowie meine Klasse, hat mich wieder sehr sehr herzlich aufgenommen, was sehr erleichternd für mich war. Ich habe aber schon gemerkt, dass sich viel von meinem damaligen österreichischen Leben geändert hat und wahrscheinlich hat sich nicht Österreich so verändert, sondern eher ich.

YFU Austria:

Du hast jetzt dein Austauschjahr mit seinen Herausforderungen, Erfahrungen und persönlichen Veränderungen hinter dir. Welche Ratschläge kannst du zukünftigen Austauschschüler*innen mit auf den Weg geben, damit sie schnell in den Alltag und das Familienleben ihrer neuen Familie hineinfinden und sich deren Vertrauen und Zuneigung erwerben?

Mirjam:

Ich kann nur eines sagen: Genießt jedes Hoch und Tief, genießt das andere Land, die neuen Leute und Kulturen, die Zeit in eurer Familie, genießt die Zeit in der Schule, das vielleicht komplett andere Schulsystem, einfach alles was Ihr später nicht mehr so erleben könnt. Wenn es euch nicht gut geht, beißt euch durch, wenn Ihr durch eine gute Zeit durch geht, genießt es einfach. Ihr baut euer Selbstvertrauen auf und lernt euch, so gut wie noch nie, kennen. Am Ende lohnt sich meist alles, was du erreicht hast und du kannst stolz auf dich sein. Außerdem kannst du überglücklich sein über die Möglichkeit eines Austausches. Ihr lernt für euer Leben. Und... YFU könnte nichts besser machen, als es jetzt schon ist! Ihr seid auf jeden Fall bei der richtigen Organisation!