Lukas

Plötzlich Großfamilie

Eintauchen in ungarische Kultur

Leben in einer ungarischen Großfamilie - Lukas hat sich getraut und dabei viele spannende Erfahrungen gemacht!
YFU Austria:

Lukas, welche Erinnerung kommt dir als erste in den Sinn, wenn du an deine Gastfamilie denkst?

Lukas:

Eine unglaublich herzliche, nette und sympathische Familie, die mich mit offenen Armen empfangen hat - Menschen, mit denen ich wirklich über alles reden durfte und konnte.

Ostern war eines der besonderen Highlights meines Austausches! Es war so schön: Essen, trinken, sich unterhalten, dann spielen, Blödsinn machen, einfach alles hat gepasst!
YFU Austria:

Verrate uns mehr über deine Gastfamilie! Wie können wir uns deine Familie und deine Wohngegend vorstellen?

Lukas:

Insgesamt bestand meine Gastfamilie aus sieben Leuten: Ich hatte zwei Gastschwestern, wobei eine bereits ausgezogen war, und drei Gastbrüder, zwei davon älter als ich und einer jünger.
Mein Gastvater genoss bereits seinen Ruhestand und erledigte meistens die Hausarbeit. Er ging einkaufen, arbeitete im Garten, kümmerte sich um den Holzofen und so weiter. Meine Gastmutter arbeitete in einem Museum. Sie organisierte und plante verschiedenste Ausstellungen, von denen ich eine sogar miterleben durfte. Die Gegend, der 10.Bezirk, war für mich persönlich genau richtig. Ich hatte nicht weit zu einem Park zum Spazierengehen oder zu einem größeren Einkaufszentrum.

YFU Austria:

Wie sah dein Alltag mit deiner Gastfamilie aus? Was habt ihr gemeinsam unternommen?

Lukas:

Der Alltag war eigentlich jeden Tag derselbe, aber trotzdem nie langweilig.

Von Montag bis Freitag waren alle Kinder in der Schule und meine Gastmutter arbeiten. Erst am Abend kamen alle heim und dann wurde gemeinsam zu Abend gegessen. Es war unter der Woche die einzige gemeinsame Mahlzeit, denn auch in der Früh ging jeder zu einer unterschiedlichen Zeit außer Haus.
Am Wochenende wurde gemeinsam gegessen, etwas unternommen und am Sonntag, nach dem Kirchengang, kam meistens meine ältere Gastschwester mit ihrer Familie und es gab ein gemeinsames Mittagessen.
Zusammen unternommen haben wir vieles: Ganz zu Beginn haben mir meine Gastbrüder und mein Gastvater Budapest und die ungarische Kultur, Traditionen und Lebensweise näher gebracht. Mein Gastvater hat insbesondere großen Wert auf Literatur, Musik und Kunst gelegt. Wir haben alle gemeinsam Ausflüge gemacht, Museen besucht und und und...

YFU Austria:

Was kommt dir als erstes in den Sinn, wenn du an deine Gasteltern denkst? Welche Unterschiede hast du im Verhältnis zwischen Eltern und Kindern in deinem Gastland kennengelernt, wenn du es mit Österreich vergleichst?

Lukas:

In Ungarn ist der Respekt, den die Kinder gegenüber ihren Eltern haben, sehr, sehr wichtig - eine Sache, die mir in Österreich nie so bewusst war.
Auch die Höflichkeit der Menschen untereinander im alltäglichen Leben ist meiner Meinung nach ein Punkt, in dem sich Österreicher und Ungarn voneinander unterscheiden. Die Anzahl der Kinder ist ein großer Unterschied zwischen den beiden Ländern, da in Österreich doch eher ein Schnitt von ein bis zwei Kindern üblich ist und Ungarn erst bei zwei Kindern wirklich zu zählen anfängt.

YFU Austria:

Wie hast du das Zusammenleben mit deinen Geschwistern erlebt?

Lukas:

Ich hatte drei Brüder und zwei Schwestern und habe es wirklich genossen - der Trubel, der immer los war im Haus. Immer war jemand da, mit dem man etwas machen konnte und immer war irgendetwas los! Es wurde mir nie fad - das alles waren Dinge, die ich, als Einzelkind, nicht gekannt habe. Ich habe sie schätzen gelernt und vor allem gelernt, was es heißt eine große, eine wirklich große Familie zu haben.

YFU Austria:

Ist es dir schwergefallen, dich in die Familie zu integrieren? Was hast du getan, um das Vertrauen und die Zuneigung deiner Familie zu gewinnen?

Lukas:

Am Anfang war es ein wenig komisch: Plötzlich stehen zehn neue Leute vor dir und du weißt eigentlich nicht wer sie sind oder überhaupt wie du mit ihnen in Kontakt treten sollst - und das nicht nur wegen der sprachlichen Probleme. Ich denke, ich habe es sehr gut geschafft mich in die Familie zu integrieren - natürlich ist es am Anfang eigentlich extrem schwer, weil man sich nicht auskennt, aber mit der Zeit gibt sich das von selbst und man will sich auch aktiv in der Familie als Familienmitglied beteiligen.
Wie ich das Vertrauen und die Zuneigung meiner Gastfamilie gewonnen habe, kann ich nicht wirklich beantworten - ich glaube, wenn man aktiv etwas macht und sich am Familienleben beteiligen möchte, dann schenken dir die anderen Leute automatisch ihr Vertrauen und ihre Zuneigung.
Das Schlimmste, was man machen kann, ist sich nicht aktiv zu beteiligen, weil du dann weder etwas von der Familie erfährst, noch die Familie etwas von dir erfährt. Dabei sind beide Parteien neugierig auf die Ansichten, Eigenschaften und Verhaltensweisen des anderen.

YFU Austria:

Wie hast du anfangs mit deiner Familie kommuniziert? Gab es Missverständnisse oder Verständigungsschwierigkeiten?

Lukas:

Wie ich es geschafft habe, ist ebenfalls eine exzellente Frage - ich glaube, ich habe die wenigen Vorkenntnissen, die ich noch aus meinen Unterrichtsjahren hatte, mit dem vermischt, was ich den ganzen Tag gehört habe. Herausgekommen ist ein Satz, den alle um mich herum irgendwie verstanden haben. Natürlich gab es am Anfang Schwierigkeiten und ich habe oft erlebt, dass mich jemand um etwas gebeten hat, ich aber nicht verstanden habe worum und dann vielleicht etwas ganz anderes gemacht habe. Aber das gibt sich je besser man die Sprache beherrscht. Man darf am Anfang nur nicht aufgeben!

YFU Austria:

Was ist die schönste Erinnerung, die du mit deiner Gastfamilie hast?

Lukas:

Es gibt eigentlich nicht die wirklich schönste Erinnerung. Das ganze halbe Jahr ist die schönste Erinnerung in sich selbst. Es gibt keinen Moment an den ich mich erinnere und worüber ich jetzt sagen würde "Nein, daran will ich mich nicht erinnern, da hab ich etwas falsch gemacht". Aber woran ich mich immer wieder besonders gerne erinnere, ist das große Essen, an dem ich zu Ostern teilnehmen durfte. Die ganze Familie war im Haus meiner Gastfamilie eingeladen und das waren immerhin fast 30 Leute! Es war so schön: Essen, trinken, sich unterhalten, dann spielen, Blödsinn machen, einfach alles hat gepasst!

YFU Austria:

Jedes Land und jede Familie haben ihre eigenen Traditionen. An welche Tradition oder an welches Fest kannst du dich ganz besonders erinnern und warum?

Lukas:

Ich bin kein religiöser Mensch, und ich bin auch nie oft in die Kirche gegangen, aber ein Fest, an das ich mich noch ganz genau erinnere, war definitiv Ostern. Um fünf Uhr in der Früh begann der Gottesdienst in der dunklen Kirche - nur erhellt vom Schein der Kerzen, die jeder vor sich stehen hatte. Und dann die Messfeier mit einer Dauer von circa zwei Stunden, man mag es nicht glauben, aber es war wirklich himmlisch. Die Gemeinschaft der Kirchengemeinde war für mich persönlich ein beeindruckendes Gefühl.

YFU Austria:

Welche Gefühle hattest du dabei, deine Gastfamilie zu verlassen und nach Österreich zurückzukehren?

Lukas:

Ich war traurig, ich war bedrückt, ich habe nicht gewusst, wann ich zurückkommen kann und wann ich sie besuchen kann. Und es war eine Ungewissheit: Wie sieht es daheim, in Österreich, aus? Wie nehmen mich mein Eltern wieder auf, wie meine Schulkollegen, und alle um mich herum...

YFU Austria:

Viele Austauschschüler*innen sagen, dass sie die Erlebnisse bei der Rückkehr in ihr Heimatland wie einen zweiten Austausch erlebt haben. Sie sagen, dass sie sich an viele Dinge wieder neu gewöhnen mussten und neu hinzu- sowie liebgewonnene Verhaltensweisen wieder ablegen mussten. Wie war das bei dir?

Lukas:

Man kann es sich nicht vorstellen, ein halbes Jahr irgendwo zu verbringen - man muss es erleben und im Endeffekt habe ich viele wichtige Dinge gelernt, die mir dann in Österreich aufgefallen sind. Vor meinem Semester im Ausland wäre ich nie draufgekommen, dass es so funktioniert oder dass es so abläuft, oder auch dass es so komplex sein kann.

Es gab viele Dinge, die ich mir in Ungarn angewöhnt habe, die ich in Österreich wieder ablegen musste. Das heißt aber nicht, dass ich sie vergessen habe - ich glaube es ist wichtig zu wissen, wie ich mich wo verhalten kann. Einige Dinge gibt es teilweise in Österreich gar nicht und sie werden als fremd angesehen.
Insofern sind die Erlebnisse, die man nach seiner Rückkehr hat, für mich nicht ein zweites Austauschjahr, sondern das Kennenlernen seiner eigenen Kultur, das Verstehen seiner eigenen Kultur - und für mich hat das halbe Jahr im Ausland auch eine große Bedeutung zu wissen, wer man ist und was man will.

YFU Austria:

Du hast jetzt deinen Austausch mit seinen Herausforderungen, Erfahrungen und persönlichen Veränderungen hinter dir. Welche Ratschläge kannst du zukünftigen Austauschschüler*innen mit auf den Weg geben, damit sie schnell in den Alltag und das Familienleben ihrer neuen Familie hineinfinden und sich deren Vertrauen und Zuneigung erwerben?

Lukas:

Das allerwichtigste überhaupt, das man beachten sollte, ist: sich nicht verstellen, sondern sich natürlich zu verhalten - ich weiß wovon ich spreche, wenn ich sage: Erster Schultag, man versteht kein Wort, man kennt niemanden, totales Chaos. Natürlich ist man schüchtern am Anfang und das ist auch eine natürliche Abwehrhaltung des Körpers. Man muss allerdings probieren, diese Schüchternheit abzulegen und den Mitmenschen mitzuteilen, wer man wirklich ist. Nur dann kann man sich wirklich integrieren und darauf vertrauen, dass man von seinen Mitmenschen akzeptiert und geliebt wird.
Und nie aufgeben, egal was passiert - alle Probleme sind lösbar!