Tessa

Pyjamapartys & Weihnachtszwerge

Leben in einer estnischen Familie

Höhlenbauen mit der Lieblingsnichte, Rallye fahren am Strand, Modeshows mit Gastmutter und Gastschwester, Kartoffelsalat an Geburtstagen - Estland und seine Besonderheiten
YFU Austria:

Welcher Erinnerung kommt dir als erste in den Sinn, wenn du an deine Gastfamilie denkst?

Tessa:

Meine Mama und meine kleine Nichte. Allein bei dem Gedanken an die Beiden werde ich schon traurig, weil wir jetzt einfach viel zu weit voneinander entfernt leben.

Tessa bei Oma und Opa.
YFU Austria:

Verrate uns mehr über deine Gastfamilie! Wie können wir sie uns vorstellen?

Tessa:

Unser Haus liegt in Haapsalu, einer kleinen Stadt am Meer. Wir hatten auch eine Sauna und ein Landhaus.
Meine Gasteltern kennen sich schon sehr lange. Sie waren sogar zusammen im Kindergarten und in der Schule.
Mein Bruder ist der Älteste der "Gang" und wohnt mit seiner Freundin in Tallinn. An den Wochenenden kommen sie nach Hause um dort zu feiern und in die Sauna zu gehen. Ich war sie auch öfters in Tallinn besuchen.
Meine ältere Schwester wohnt auch in Haapsalu und hat eine Tochter die zwei Jahre alt ist. Letzte Woche, als ich dort war, ist ihnen eine Katze zugelaufen. Ihr Mann ist Politiker in Tallinn. Sie ist oft bei uns zu Besuch und dann spielen wir mit der Kleinen.
Die Jüngste von uns ist zwölf. In dem Jahr, als ich dort war, ist sie sehr viel gewachsen. Sie ist sehr gut in der Schule und liebt Sport. Ich nenne sie Vanaisahai und sie mich Vanaemahai.
Dann gibt es noch einen Hund, der eigentliche Boss des Hauses.
Zwei Fische gab es auch einmal, mittlerweile leider nur noch einen.
Wir hatten viel Zeit und keinen Stress. Manchmal sind wir im Wohnzimmer gesessen und haben überlegt, was wir heute noch machen könnten. Es war alles sehr spontan und unkompliziert.

YFU Austria:

Welche Aktivitäten des Alltags hast du gemeinsam mit deiner Gastfamilie unternommen? Kannst du uns davon erzählen?

Tessa:

Da mein Gastvater in Finnland arbeitet und meine älteren Geschwister schon ausgezogen sind, waren meine Gastmutter, meine 12-jährige Gastschwester und ich meistens nur zu dritt. Uns wurde nie langweilig. Wir feierten Pyjamaparties oder fuhren zum Shoppen nach Tallinn und veranstalteten im Anschluss eine kleine Modeshow.
Sport haben wir auch viel gemacht, ich war oft mit meiner Gastmutter trainieren.
Gerne saß ich auch einfach mit meiner Gastmutter in der Küche, wo wir bei einem Tee ein bisschen plauderten. Am Anfang tat ich mir schwer, ihren Humor zu verstehen. Aber mittlerweile bin ich der Meinung, dass sie einer der lustigsten Menschen ist, die ich kenne.

YFU Austria:

Was kommt dir als erstes in den Sinn, wenn du an deine Gasteltern denkst? Welche Unterschiede hast du im Verhältnis zwischen Eltern und Kindern in deinem Gastland kennengelernt, wenn du es mit Österreich vergleichst? Kannst du das mit einem Beispiel erläutern, das du selbst erlebt hast?

Tessa:

In Estland gehen viele Väter, aber auch Mütter, nach Finnland oder Schweden arbeiten, so wie mein Gastvater auch. Er war immer sieben Wochen lang weg und dann vier Wochen zu Hause.
Wenn er zu Hause war, war alles ganz anders als sonst. Wir haben andere Mahlzeiten gegessen und tolle Ausflüge gemacht. Einmal, im Winter, war ich mit ihm sogar am Meer Rallye fahren.
In Österreich ist mein Vater zu Hause. Es ist schon ein großer Unterschied, wenn man einen Vater hat, der immer da ist.
In meiner Gastfamilie war ich nicht die Älteste und trotzdem haben sie mich mehr wie eine Erwachsene behandelt. Da sie bereits 2 erwachsene Kinder haben, wussten meine estnischen Eltern schon, was auf sie zukommt und wie das ist, wenn Kinder erwachsen werden.
In Österreich habe ich zwei jüngere Geschwister, hier bin ich sozusagen der erste Probedurchlauf.

YFU Austria:

Erzähle uns doch davon, wie du das Zusammenleben deinen Geschwistern erlebt hast!

Tessa:

Da meine beiden älteren Geschwister bereits ausgezogen waren, hatten meine kleine Schwester und ich das obere Stockwerk für uns alleine.
Mit meinem Bruder war ich Bootfahren am Meer und auf vielen Parties.
Wenn meine ältere Schwester mit dem Kinderwagen spazieren ging, bin ich gerne mitgegangen und habe schieben geholfen. Das geht ganz schön in die Arme!
Mein Buder hat einmal zu mir gesagt, dass es ihm so vorkommt, als wäre ich ein Teil der Familie und dass sie alle sehr froh sind, mich zu haben.
Da alle so offen und herzlich waren, hat es eigentlich von Anfang an gut geklappt.

YFU Austria:

War es schwer für dich sich in der Familie zu integrieren? Was hast du getan, um das Vertrauen und Zuneigung deiner Familie zu erhalten?

Tessa:

Am Anfang war die Sprache ein Problem. Im ersten Semester habe ich eine Geschichte in Englisch erzählt und niemand hat gelacht. Ich glaube, da gab es ein paar Missverständnisse. Als ich sie dann auf Estnisch erzählt habe, war es schon viel lustiger.
Es gab für mich kaum Regeln, wie zum Beispiel für meine Ausgehzeiten.
Wenn ich unterwegs war, hab ich einfach Bescheid gegeben, wo ich gerade war, was ich noch machen würde und wann ich nach Hause käme.
Wenn es etwas im Haushalt zu tun gab, hab ich mich gerne beteiligt und so hat alles gut geklappt.

YFU Austria:

Was ist die schönste Erinnerung, die du an das Leben mit deiner Gastfamilie hast?

Tessa:

Es gibt viel zu viele schöne Erinnerungen! Ich könnte nicht sagen, welche davon die Schönste ist.
Eine davon ist von meiner zweijährigen Nichte. Wenn wir in unserem Landhaus waren, konnten wir beide stundenlang Höhlen aus Decken bauen und uns darin verstecken.
Oder als wir Ende des Jahre zum Flughafen fuhren, und ich schon wieder zurück nach Österreich musste, hat meine Mama geweint und gesagt: "Tessa, du wirst ein sehr großes Loch in unserer Familie hinterlassen..".

YFU Austria:

Jedes Land und jede Familie haben ihre eigene Traditionen. An welche Tradition oder an welches Fest kannst du dich ganz besonders erinnern und warum?

Tessa:

In der Vorweihnachtszeit kamen immer Zwerge zu mir ins Zimmer und haben Schokolade für mich versteckt.
Zu Weihnachten ist der Weihnachtsmann gekommen und ich musste ein Gedicht aufsagen, was noch nicht allzu gut geklappt hat. Mein Geschenk habe ich aber trotzdem bekommen.
An Geburtstagen gab es immer Kartoffelsalat. Der ist ganz anders, als wir ihn in Österreich kennen. Beschreiben werde ich ihn euch nicht, dazu müsst ihr schon selber hinfahren! ;-)

YFU Austria:

Welche Gefühle hattest du, deine Gastfamilie zu verlassen und zurück zu kehren nach Österreich?

Tessa:

Ich hab mich schon auf zu Hause gefreut, besonders auch auf die Schule!
Aber ich konnte es noch nicht ganz begreifen. Es fühlte sich so an, als würde ich nach dem YES wieder nach Estland zurückkehren.
In Österreich war es viel zu heiß und es waren zu viele Leute auf den Straßen. Außerdem war so viel los, dass ich wenig Zeit hatte, an zu Hause zu denken.
Bereits zwei Wochen später bin ich wieder nach Estland zurückgefahren. Ich dachte, alles würde verloren gehen, wenn ich zurück nach Österreich muss, aber siehe da, es war noch alles beim Alten.
Ich vermisse Estland, wenn ich in Österreich bin und ich vermisse Österreich, wenn ich in Estland bin.

YFU Austria:

Viele Austauschschüler*innen sagen, dass sie die Erlebnisse bei der Rückkehr in ihr Heimatland wie ein zweites Austauschjahr erlebt haben. Sie sagen, dass sie sich an viele Dinge wieder neu gewöhnen mussten und neu hinzu- sowie liebgewonnene Verhaltensweisen wieder ablegen mussten. Was fällt dir zu diesem Thema ein?

Tessa:

Für mich war alles wieder normal, nur ein paar Dinge waren komisch. Was zum Beispiel die Begrüßung anbelangt, sind die Österreicher doch offener. Aber ich habe mich schnell wieder an das ewige “links-und-rechts-küssen” gewöhnt.

YFU Austria:

Du hast jetzt dein Austauschjahr mit seinen Herausforderungen, Erfahrungen und persönlichen Veränderungen hinter dir. Welche Ratschläge kannst du zukünftigen Austauschschüler*innen mit auf den Weg geben, damit sie schnell in den Alltag und das Familienleben ihrer neuen Familie hineinfinden und sich deren Vertrauen und Zuneigung erwerben?

Tessa:

Mutig und ehrlich sein! Einfach man selbst sein und sich nicht verstellen, denn das hält man kein ganzes Jahr durch.
Nicht alles ganz so erst nehmen und auch mal über den eigenen Schatten springen!